Mit dem Versprechen „höher, schneller, weiter“ lassen sich Sportartikel gut verkaufen.
Auch Läuferherzen schlagen höher, wenn ein neuer Schuh auf den Markt kommt, der ihnen verspricht, schneller laufen zu können. Was die
Marketing-Abteilungen hingegen nicht erwähnen, sind die gesundheitlichen Risiken. Zum Beispiel von Carbonplatten.
Ludwigsburg, 5. April 2022. Seit Nikes Chef-Entwickler Matt Nurse die Idee hatte, eine Carbonplatte in einem Laufschuh zu verbauen, um Läufern zu neuen Bestzeiten zu verhelfen, spaltet die Branche die Diskussion: Sind Carbonplatten für Läufer sinnvoll oder sind sie sogar schädlich?
Zunächst einmal folgen sie einer Erkenntnis von einem der anerkanntesten Biomechaniker weltweit: Benno M. Nigg konnte mit weiteren Kollegen in einer Studie nachweisen, dass von den Mittelfußknochen in der Antriebsphase wesentlich mehr Energie absorbiert als produziert wird. Andere Gelenke wie Fußgelenk, Knie oder Hüfte generieren hingegen mehr Energie als sie verbrauchen.
Vier Prozent schneller, aber zu welchem Preis?
Diesen unnötigen Energieverlust vermeidet die Carbonplatte, indem sie in der Antriebsphase den Hebel verändert und so verhindert, dass sich die Zehen nach oben biegen (Dorsiflexion). Und im Idealfall sorgen sie dafür, dass Läufer ihre persönlichen Bestzeiten um bis zu vier Prozent verbessern. Kein Wunder also, dass zwei Jahre nach der Vorstellung des ersten „Vaporfly 4%“ 86 Prozent der
Podiumsplätze bei den sechs World Marathon Majors von Läufern besetzt wurden,
die Carbonplatten nutzten. Das weckte auch Begehrlichkeiten bei den Hobbyläufern, perfekt instrumentalisiert von den Marketingabteilungen der großen Laufschuh-Brands.
Das Problem mit Carbonplatten ist allerdings: Jeder Läufer ist anders.
Die beiden Kinesiologen Darren Stefanyshyn und Ciro Cusco
kamen in einer Studie zu dem Schluss, dass eigentlich jeder
Läufer abhängig von Gewicht, Größe und Kraft ein anderes Maß
an Versteifung benötigt, um persönliche Bestzeiten zu
erreichen. Bei manchen Läufern hatten die Carbonplatten sogar
komplett negative Auswirkungen. Fast noch wichtiger ist aber: 99
Prozent der Läufer sind überhaupt keine Profiläufer. Sie laufen, weil
sie etwas für ihren Körper tun wollen, und nicht, weil sie eine persönliche Bestzeit nach der anderen übertreffen müssen. Doch was tun sie für ihren Körper, wenn sie Schuhe mit Carbonplatten
tragen? Durch die Versteifung verliert die Zehenmuskulatur ihre Funktion. Wadenmuskulatur und Achillessehne hingegen müssen durch den längeren Hebel der Carbonplatte viel mehr arbeiten – und werden dadurch überbeansprucht. Von diesen Gesundheitsrisiken erzählt aber keine Marketingabteilung der Welt. Der menschliche Fuß braucht keine Carbonplatte, er wird selbst zu einer
Mutter Natur hat mit dem menschlichen Fuß ein wahres Meisterwerk an Ingenieurskunst
hingelegt. In der Vorbereitung der Abstoßphase hebt sich die Ferse vom Boden ab, die Zehengelenke ziehen an der Plantarfaszie, das Fußgewölbe wird angehoben und der Fuß wird verdreht und verkürzt. Dadurch entsteht eine straffere, steifere Feder, die sich sich auf den Abstoß beim Laufen vorbereitet. Wenn man so will, hat der menschliche Fuß also seine eigene steife Carbonplatte geschaffen, die die Vortriebskraft verstärkt.
Abbildung 1: Biomechanisch negative Auswirkungen von
Carbonplatten, Quelle: Joe Nimble
In dieses Meisterstück einzugreifen, ist gefährlich. Denn so vermeiden wir
Verletzungen nicht, wir lassen sich vielmehr gerade erst entstehen.
Laufschuhhersteller sollten beim Launch neuer vermeintlicher Highspeed-Modelle
mit Carbonplatten eigentlich den Zusatz anbringen müssen: „Zu Risiken und
Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Biomechaniker oder Sportarzt.“
Weitere Informationen zu Joe Nimble finden Sie hier:
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